
Japan ist bekannt für einzigartige Genusskultur und edle Getränke. Zwei Aushängeschilder dieser Kultur sind Sake – oft als Reiswein bezeichnet – und japanischer Wein aus Trauben. Auf den ersten Blick könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Hier ein Jahrhunderte altes Reisgetränk mit tiefen kulturellen Wurzeln, dort eine vergleichsweise junge Weinbau-Tradition mit teilweise europäischen Rebsorten. Beide sind jedoch auf ihre Weise faszinierend und stehen für höchsten Genuss. In diesem Beitrag vergleichen wir die zwei Welten von Sake und japanischem Wein – von Herstellung und Geschmack über Alkoholgehalt und Herkunft bis zur kulturellen Bedeutung.
Herstellung und Zutaten
Sake wird häufig als „japanischer Reiswein“ bezeichnet, doch streng genommen handelt es sich um ein gebrautes Getränk, ähnlich wie Bier. Während beim Traubenwein der in der Traube natürlich vorhandene Zucker durch Hefen zu Alkohol vergoren wird, muss beim Sake aus Reis zunächst Stärke in Zucker umgewandelt werden. Dieser Prozess erfolgt mit Hilfe von Kōji-Schimmelpilz (Aspergillus oryzae), der den gedämpften Reis verzuckert. Anschließend fermentiert Hefe den Zucker zu Alkohol. Das Besondere dabei: Die Umwandlung von Stärke zu Zucker und die alkoholische Gärung laufen bei Sake in einem parallelen Prozess ab, anstatt in zwei getrennten Schritten. Dieses aufwändige Brauverfahren verleiht Sake seine vielschichtigen Aromen und den weichen Charakter.
Japanischer Wein hingegen entsteht nach klassischer weinbaulicher Methode. Als Grundzutat dienen Weintrauben, die – wie überall in der Weinwelt – gekeltert und durch Hefegärung zu Wein vergoren werden. Zusätze wie Schwefel zur Stabilisierung oder Eichenfassreifung zur Aromatisierung sind in der Weinherstellung üblich, während Sake außer etwas neutralem Alkohol (bei bestimmten Typen wie Honjōzō) keine weiteren Zutaten enthält. Die Weinproduktion in Japan begann im Zuge der Öffnung des Landes im 19. Jahrhundert und basiert auf importierten europäischen Rebsorten sowie einheimischen Neuzüchtungen. Ein historisches Beispiel ist die Rotweinsorte Muscat Bailey A, eine Kreuzung aus dem frühen 20. Jahrhundert, die als erster japanischer Qualitätswein galt. Heute legen viele japanische Winzer Wert auf regionale Identität und handwerkliche Perfektion – von der Lese per Hand bis zur behutsamen Vinifizierung.
Geschmack und Aromen
In aromatischer Hinsicht offerieren Sake und japanischer Wein ganz unterschiedliche Erlebnisse. Sake zeichnet sich durch eine milde, samtige Geschmacksstruktur mit betontem Umami aus – jenem herzhaften “fünften Geschmack”, der in vielen japanischen Speisen präsent ist. Tatsächlich enthält Sake rund fünfmal mehr Aminosäuren (Träger des Umami-Geschmacks) als Wein. Dies verleiht ihm einen vollmundigen, runden Geschmack, der von dezenten Noten begleitet sein kann. Hochwertige Sake-Typen wie Ginjō oder Daiginjō überraschen zudem mit feinen Frucht- und Blütenaromen (z.B. Melone, Birne oder weiße Blüten), die man so vielleicht nicht erwarten würde. Gleichzeitig fehlt Sake die kräftige Fruchtsäure des Weins – seine Säure beträgt nur etwa ein Fünftel derjenigen von Wein. Dadurch wirkt Sake geschmeidiger und hinterlässt kaum Nachklang am Gaumen. Für Genießer bedeutet das: Sake ist weich, harmonisch und extrem zugänglich, ohne Ecken und Kanten von Säure oder Tannin.
Japanische Weine bieten demgegenüber die vertraute Bandbreite klassischer Weinprofile, jedoch oft in einem eher eleganten, filigranen sowie edleren Stil. Die weiße Rebsorte Koshu, eine in Japan heimische Traube, liefert etwa leichte, ausgesprochen delikate Weißweine mit zurückhaltendem Bouquet. Solche Weine zeigen Noten von Zitrusfrüchten, weißem Pfirsich oder Yuzu und besitzen eine feine Mineralität – perfekt zur subtilen japanischen Küche. Rote japanische Weine werden teils aus internationalen Sorten wie Merlot oder Cabernet Sauvignon gekeltert, aber auch aus lokalen Kreuzungen wie Muscat Bailey A. Sie tendieren zu moderatem Körper und sanften Tanninen, oft mit hellfruchtigen Aromen (Kirsche, Beeren) und würzigen Nuancen. Insgesamt ist der Säuregehalt im Wein höher als bei Sake, was dem Wein Frische und Struktur verleiht. Für westliche Gaumen, die an Wein gewohnt sind, wirkt ein japanischer Wein daher lebhafter und spritziger, während Sake durch seine weiche Art besticht. Beide Getränke können mit komplexen Aromaprofilen aufwarten – doch wo Sake mit Umami und texturaler Sanftheit punktet, brilliert Wein mit Frische, Vielfalt an Aromen und, bei Rotweinen, mit Tanninstruktur.
Alkoholgehalt und Servierweise
Betrachtet man den Alkoholgehalt, liegen Sake und Wein näher beieinander, als man vermuten könnte. Ein typischer Sake weist etwa 15% Alkohol auf, was leicht über dem Durchschnitt vieler Weine liegt. Ungesetzter (Genshu) Sake kann sogar bis zu 18–20% Vol. erreichen, wird jedoch meist vor dem Abfüllen auf Trinkstärke verdünnt. Weine bewegen sich im Schnitt zwischen 11% und 14% Vol., je nach Stil und Herkunft. Interessanterweise sind einige japanische Weißweine – gerade aus der Koshu-Traube – bewusst leichter gehalten und kommen mit nur ~10–12% Vol. aus, was dem Trend zu alkoholärmeren, eleganten Weinen entspricht. Sake hingegen wirkt trotz seines höheren Alkohols oft sanfter, da die fehlende Säure und das Fehlen von Kohlensäure (bei stillem Sake) den Alkohol weniger scharf hervortreten lassen.
Auch die Trinktemperatur und Servierweise unterscheiden sich deutlich. Sake kennt ein breites Spektrum an Serviertemperaturen: manche Varianten genießt man gekühlt, hochwertige Daiginjō etwa entfalten bei ca. 10°C ihr Aroma, während andere, besonders traditionelle Sorten, leicht erwärmt serviert werden. Ein warm servierter Sake (atsukan) bei etwa 40–50°C ist insbesondere in der kühlen Jahreszeit beliebt. Das Servieren selbst hat rituellen Charakter: In Japan wird Sake häufig in kleinen Keramik- oder Porzellanschälchen (sakazuki oder ochoko) gereicht, oft aus einer kleinen Karaffe, und das Einschenken ist mit gesellschaftlicher Etikette verbunden. Wein hingegen wird fast immer in gläsernen Weingläsern serviert, typischerweise bei ca. 8–12°C für Weiße und 15–18°C für Rote. Eine Besonderheit von Sake ist auch, dass er im Allgemeinen jung getrunken wird – binnen etwa eines Jahres nach Abfüllung sollte er konsumiert sein, um Frische und Geschmack zu gewährleisten. Wein dagegen kann je nach Qualität und Stil durchaus durch Flaschenreifung gewinnen und wird nicht selten über Jahre oder Jahrzehnte gelagert, um komplexere Aromen zu entwickeln.
Regionale Herkunft und Vielfalt
Japan ist in vielerlei Hinsicht ein Land der Terroirs, sowohl für Reis als auch für Trauben. Sake wird in nahezu allen Teilen Japans gebraut, vom kühlen Hokkaidō im Norden bis Kyūshū im Süden. Dabei nutzen die Brauereien lokale Zutaten: regional angebauten Sake-Reis (etwa Yamada Nishiki aus Hyōgo oder Gohyakumangoku aus Niigata) und das jeweilige Quellwasser, dem in der Sake-Produktion eine große Bedeutung zukommt. Einige Regionen haben sich einen besonderen Ruf erarbeitet – so gilt die Präfektur Niigata für ihr weiches Wasser und kalte Winter als Herkunft exquisit trockener, leichter Sake, während die Region Nada in Kōbe dank harten Wassers (miyamizu) kräftigere, körperreiche Sake hervorbringt. Sake trägt zwar – anders als Wein – keine herkunftsgeprägte Appellation im Namen, doch Kenner wissen, dass Region und Brauerei ebenso viel ausmachen wie Reissorte und Poliergrad.
Japanischer Weinbau konzentriert sich auf einige wenige Kernregionen des Inselreichs. Allen voran ist Yamanashi (westlich von Tōkyō, am Fuß des Fuji) das Zentrum der japanischen Weinproduktion: Rund 40% des in Japan produzierten Weines kommen aus Yamanashi. Dort, im sogenannten Koshu-Tal, liegen historische Weinorte wie Katsunuma, wo bereits im 19. Jahrhundert die ersten modernen Weingüter gegründet wurden. Das Klima in Yamanashi – warme Sommer mit kühle Nächte in den höher gelegenen Weinbergen – begünstigt insbesondere weiße Sorten wie Koshu, aber auch internationale Reben. Weitere wichtige Anbaugebiete sind Nagano (mit höher gelegenen Weinbergen in den japanischen Alpen, die frische Säure begünstigen), Hokkaidō im Norden (kühles Klima, ideal für Pinot Noir und Chardonnay) sowie Yamagata im Norden von Honshū. In Yamagata, speziell der Gegend von Takahata, werden große Mengen Chardonnay und die lokale Delaware-Traube angebaut.
Japan verfügt mittlerweile über rund 300 Weingüter (die Zahl steigt stetig), die sowohl heimische als auch internationale Rebsorten kultivieren. Zu den renommiertesten Betrieben zählen etwa Lumière und Marufuji in Yamanashi – beide mit über hundertjähriger Tradition – sowie Takahata Winery in Yamagata, die größte Kellerei im Nordosten Japans. Solche Weingüter verbinden japanische Handwerkskunst mit önologischem Know-how und erzeugen Weine, die international Beachtung finden. Erstklassige japanische Weine erzielen heute bei Wettbewerben hohe Auszeichnungen: So gewann 2024 erstmals ein Wein aus Japan (ein Koshu Weißwein) die begehrte Best in Show-Trophäe bei den Decanter World Wine Awards. Dieser Erfolg – errungen vom Tomi no Oka Koshu 2022 der Suntory Winery – unterstreicht, dass japanischer Wein qualitativ zur Weltspitze aufschließen kann. Neben Koshu-Weißweinen legen auch japanische Rotweine an Qualität zu, insbesondere dort, wo geeignete Terroirs für Cabernet, Merlot & Co. gefunden wurden.
Kulturelle Bedeutung und Genusskultur
Die kulturelle Verankerung von Sake und Wein in Japan könnte unterschiedlicher kaum sein. Sake ist seit alten Zeiten das traditionelle Getränk Japans, tief mit Religion und Ritual verbunden. In shintōistischen Zeremonien wird Sake den Göttern als Opfer dargebracht, große Fässer (taru) schmücken als Zeichen des Dankes viele Schreine. Bei Hochzeiten trinken Braut und Bräutigam dreimal Sake aus speziellen Schalen (San-san-kudo-Ritual) als Zeichen des Bundes. Sake ist sprichwörtlich der „Nationaltrunk“ – schon das Wort nihonshu (日本酒) bedeutet wörtlich „japanischer Alkohol“. Seine Rolle im gesellschaftlichen Leben ist bis heute bedeutend: ob beim Feierabend in der Izakaya-Bar, als Neujahrsgetränk Toso oder als Teil der traditionellen Kaiseki-Küche, Sake steht für japanische Identität und Gastfreundschaft. Die Art und Weise, Sake zu genießen – langsam, in kleinen Schlucken, oft begleitet von einem respektvollen Zuprosten Kanpai – spiegelt Japans Werte von Achtsamkeit und Gemeinschaft wider.
Wein dagegen hat in Japan keine jahrtausendealte Tradition, sondern ist ein Importgut, das sich allmählich lokal verwurzelt hat. Erst im späten 19. Jahrhundert begann man in Japan, Wein nach westlichem Vorbild herzustellen. Anfangs war Wein ein exotisches Getränk für Ausländer und die Oberschicht, doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den 1960er Jahren fand er den Weg in die breite Gesellschaft. Heute ist Wein – ob importiert oder heimisch produziert – ein fester Bestandteil der urbanen Trinkkultur Japans. In Metropolen wie Tōkyō oder Ōsaka gibt es Weinbars, Sommelier-Wettbewerbe und eine wachsende Community von Weinliebhabern. Japanische Weine selbst tragen stolz ihre regionale Identität und werden immer häufiger bei heimischen Anlässen serviert, etwa zu einem Washoku-Dinner als spannende Ergänzung oder Alternative zum Sake. Weinbaugebiete wie Yamanashi oder Yamagata fördern auch den Weintourismus: Weinfeste zur Erntezeit, Weinproben auf Weingütern und sogar Wein-Themenparks (z.B. in Katsunuma) ziehen Einheimische und Touristen an. So entwickelt der japanische Wein zunehmend eine eigene kulturelle Bedeutung – als Symbol einer gelungenen Verbindung von japanischer und westlicher Genusskultur.
Sake und japanischer Wein – zwei Getränke aus derselben Heimat, doch mit ganz eigener Seele. Der Sake verkörpert die traditionelle Seite Japans: handwerkliche Braukunst, geprägt von Reis, Wasser und Kōji, mit weichem Geschmack und zeremonieller Aura. Japanischer Wein hingegen repräsentiert den Aufbruch zu neuen Ufern: Die Winzer verbinden heimischen Boden und Klima mit der Kunst der Weinbereitung und schaffen edle Tropfen, die Kenner aufhorchen lassen. Für weinaffine Genießer ergibt sich daraus ein doppelter Gewinn. Einerseits kann man in die Welt des Sake eintauchen und eine völlig andere Palette an Aromen – von subtiler Süße bis Umami – entdecken. Andererseits eröffnen japanische Weine eine faszinierende Erweiterung des Horizonts: Sie bieten vertraute Weinstile mit einem asiatischen Terroir-Twist. Besonders die Feinheit und Eleganz vieler japanischer Weißweine, allen voran aus der Koshu-Traube, sowie die stetig wachsende Qualität der Rotweine machen Lust auf mehr.
Unterm Strich gilt: Beide Welten sind ein Genuss – doch wer die Vielfalt der Weinwelt liebt, sollte den Blick nach Japan wagen. Hier warten exzellente Weine darauf, entdeckt zu werden, entstanden aus Leidenschaft, Tradition und Innovationsgeist. Ein gutes Glas japanischer Wein vereint das Beste aus zwei Kulturen und bereichert jede Weinrunde um eine überraschende, genussvolle Nuance. Kanpai und zum Wohl – auf die Entdeckung des japanischen Weins!